In der Urananreicherungsanlage Novouralsk bei Ekaterinburg am Ural ist laut russischen Medien ein Uranfass mit Uranhexafluorid (UF6) „explodiert“. Dadurch starb ein Arbeiter und 100 weitere mussten wegen Verdachts auf Verstrahlung in ein Krankenhaus eingeliefert werden – einer der weltweit schwersten (bekannten) Unfälle mit UF6. Es ist schon erstaunlich, dass der Kreml-Konzern Rosatom selbst darüber berichtete, weil normalerweise Geheimhaltung Trumpf ist.
UF6 bildet schon bei Berührung mit Luftfeuchtigkeit die tödliche Flusssäure. In Russland wurde auf Telegram spekuliert, es könne sich um ein ausländisches Uranfass gehandelt haben – und da kommen sofort die Urananreicherungsanlagen Gronau und Almelo von Urenco ins Spiel, aber auch die Brennelementefabrik von Framatome in Lingen.
Warum? Aus Gronau und Almelo wurden seit 1995 zusammen über 100 000 t abgereichertes UF6 zur billigen Entsorgung nach Russland gebracht – ein Hauptziel Novouralsk! Der Atomkomplex ist eine „geschlossene Stadt“ hinter Stacheldraht und gehört dem staatlichen Atomkonzern Rosatom. Allein 2019/20 gelangten 18 000 t abgereichertes UF6 aus Gronau ausschließlich nach Novouralsk – genügend Uranfässer von Urenco lagern dort also in jedem Fall. Weitere westeuropäische Lieferländer waren bis Kriegsbeginn in der Ukraine auch Großbritannien und Frankreich.
Auch die Brennelementefertigung in Lingen und anderswo basiert auf UF6 als Ausgangsstoff – allerdings in angereicherter Form. Und der Betreiber der Uranfabrik in Lingen, die französische Framatome, unterhält sogar mitten im Krieg eine aktive und intensive Atompartnerschaft mit Rosatom – inklusive zahlreicher Uranlieferungen in beide Richtungen und der Gründung eines Joint Venture zur gemeinsamen Produktion von „russischen“ Brennelementen. Das Genehmigungsverfahren läuft noch in Hannover. Die regionalen Anti-Atom-Inis haben aber eine öffentliche Beteiligung durchgesetzt, sodass die Chance besteht, den russisch-französischen Plan zu kippen.
Zurück nach Novouralsk: Aufgeschreckt durch die Telegram-Spekulationen haben die russischen Behörden die Beteiligung von „ausländischen“ Uranfässern offiziell dementiert, sie seien alle „einheimisch“. Dazu muss man wissen, dass bei Lieferung von abgereichertem UF6 die Uranfässer im Allgemeinen in den Besitz des Empfängers übergehen, hier also Rosatom. Das macht die UF6-Fässer rein rechtlich von „ausländischen“ zu „einheimischen“. Wir haben diese Praxis schon immer kritisiert, weil sie jede Rücknahmeverpflichtung für Urenco ausschließt.
In Briefen an die Atomministerien in Düsseldorf, Hannover und Berlin haben die regionalen Anti-Atom-Inis nunmehr Auskunft verlangt zur Herkunft des betroffenen Uranfasses sowie eine internationale Untersuchung gefordert, um mehr über die Umstände des tragischen Zwischenfalls zu erfahren. Schließlich wird auch in Gronau und Lingen massenhaft mit UF6 umgegangen und es lagern Tausende Tonnen in einem Freilager unter offenem Himmel. Kein beruhigender Zustand, der dringend abgestellt werden muss, so wie beide Uranfabriken insgesamt!